Herta Müller
 
Barfüßiger Februar

Jetzt ist die Zeit gleich nach dem Tode eines Freundes.
Die lange Reise war ein Schienenstrang, das Eisen der Behörden. Das Abteil fuhr. Die Scheibe hetzte Bilder. Nur der Kieferknochen war zerschlagen. Nur der Blick erfroren von der Kälte der Verhöre. Nur die Briefe und Gedichte nackt und ausgelacht.
Die Ankunft war der Winter. Fremd war das Land und unbekannt die Freunde. Die Bäume zugeschnitten, kalter Februar. Darüber war ein Fenster.
Ich war nicht dort. Nur in den Nächten fühl ich, was man Nähe nennt und in den Tagen, was man wie Entfernung mit sich nimmt. Und schrittweise lehn ich am straßenhohen Fenster. Und frag, wie soll der Vogel diese Härte haben.
Barfüßiger Februar, ich weiß es nicht. Die Zehen hängen tiefer als der Flug. Ich drück das Fenster zu.
Es kann ein Tag die Straße überquerend.
Kein Wasser und kein Feuer und kein Strick. Die dünnen weißen Sprossen der Gedanken. Man braucht die Hände nicht daran zu tun.
Die Zehe biegt sich leicht. Die Welt ist tief.
Die Welt liegt auf dem Tode eines Freundes. Was vergeht wie Tage, wird kein Leben.
Die Erde liegt. Ich geh auf ihr.
Daß sich die Tage falten. Daß ich älter bin.

(In: Ostkreuz, Januar 1989)