Die Rolle der Kirche

Die hier beschriebene Entwicklung bezieht sich insbesondere auf die Evangelische Kirche in der DDR, unter deren Schutzdach Ende der 70’er Jahre Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen entstehen konnten. Räume und Versammlungsgelegenheiten wurden von engagierten kirchlichen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt. Die meisten Samisdate erschienen mit dem Vermerk "Nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch" und konnten dadurch im oppositionellen Netzwerk eine bedeutsame Rolle spielen.
Die Kirchen stellten für die SED-Führung schon immer ein Problem dar, da sie die einzigen großen Organisationen mit einem eigenen Bereich waren und zudem über internationale Vernetzung verfügten. Christlicher Glauben und Wahrheitsanspruch der marxistisch-leninistischen Ideologie waren/sind von ihrem Wesen her unvereinbar.
So war es u.a. Ziel des DDR Staates, die Trennung der ostdeutschen Evangelischen Kirche von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu bewirken. Die Kirche sollte von der Gesellschaft isoliert werden und somit auf ihrem kirchlichen Raum beschränkt agieren.

Die Mitgliederzahl der evangelischen Kirchen stellte 1950 ca. 80% der Gesamtbevölkerung dar.
1989 hatten sich noch 5,1 Mio Menschen, ca. 30% der Gesamtbevölkerung, zur evangelischen Kirche bekannt. Die "erfolgreiche" SED-Politik der Entchristianisierung wirkt bis in die Gegenwart.
Das Spannungsverhältnis zwischen Kirche und Staat lässt sich zeitlich in drei Phasen einteilen und wie folgt charakterisieren:
 

1949 bis 1961 - offener Kirchenkampf

- die Freie Deutsche Jugend (FDJ) wird einzige anerkannte Jugendorganisation
- Die Junge Gemeinde der evangelischen Ortsgemeinden wurde in verschiedenen Kampagnen als eine maskierte Organisation des Feindes dargestellt. Ihre Veranstaltungen wurden zuerst verboten, ab 1953 dann toleriert.
- Die 1954 eingeführte Jugendweihe – in derselben Zeit stattfindend wie die Konfirmation – hatte deren Verdrängung zum Ziel.
 

1962 bis 1974 - verdeckter Kampf gegen die Kirche

- Die Verfassung vom 1968 beschränkt das Kirchenrecht auf zwei Artikel (Art. 20/1 und Art. 39).
- indirekte Repressionen
- Versuche, bestimmte kirchliche Personen für den Staat zu gewinnen
 

1975 bis 1989 - „Kirche im Sozialismus“

- Die Aufwertung der Kirche durch das Spitzengespräch zwischen Erich Honecker und Bischof Schönherr (Leitung des BEK).
- Die Anerkennung der Ausbildung von Krankenschwestern und -pflegern im Rahmen kirchlicher Einrichtungen.
- Die staatliche Anerkennung eines gewissen eigenständigen kirchlichen Handlungsraums.
- verstärktes Einschleusen von IM´s in kirchliche Positionen
- Kirche als Organisationsraum für oppositionelle Bewegungen (z.B. die Umwelt-, Friedens und Menschenrechtsgruppen)
- gezielte Vordringen von IM´s in die Friedensbewegungen

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Ulrich Stockmann
 
Auf daß Solidarität und Kirche sich küssen lernen

Was tust du, wenn du in der Ausbildung stehst und merkst, die drängenden Probleme unserer Zukunft, unseres Lebens und Arbeitens in Kirche und Gesellschaft werden nicht diskutiert? Wenn du merkst, hinter ihrem autoritären Umgang mit dir stehen nichteinmal zukunftsfähige Konzepte? Was tust du, wenn du ausgebildet bist und sie dich zurücksetzen, weil du vielleicht eine alleinstehende Frau bist - gar mit Kind? Oder sie dich ausgrenzen, weil du mit deinem Lebensstil nicht in ihr überholtes Bild vom Zusammenleben paßt? Und wenn du dann arbeitest und bleibst isoliert, wenn deine Kritik an Strukturen und Verfahrensweisen ausschließlich als Seelsorgeproblem behandelt wird, du dein Recht nicht bekommst, deine Entwürfe nicht gefragt sind, was dann? Was tust du, wenn du trotz all dem hierbleiben willst, weil du dich verantwortlich weißt und auch Energie und Willen hast zu helfen beim längst überfälligen Wandel?
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(In: Solidarische Kirche, April 1988)