Die Herstellung einer Samisdat-Zeitschrift am Beispiel der "LausitzbotIn"


 

Die LausitzbotIn-Idee

Die Idee, eine unabhängige und staatskritische Zeitschrift in der Lausitz herauszugeben, wurde in Großhennersdorf 1987 von den Mitarbeitern der evangelischen Diakonissenanstalt "Katharinenhof" Andreas Schönfelder und Thomas Pilz geboren, als sie die dortige Umweltbibliothek gründeten.

Seit Juli 1987 hatte Andreas Schönfelder Verbindung zur Umweltbibliothek Berlin. Schon im Herbst 1987 registrierte die Bezirksverwaltung Dresden der Staatssicherheit, dass er "von dort regelmäßig Materialien mit politisch-negativem Inhalt" erhielt und beabsichtigte, "mit diesem Material eine analoge Umweltbibliothek in Großhennersdorf einzurichten". Er wurde auch schon verdächtig, "eine Zeitschrift nach dem Vorbild des Grenzfall herausgeben" zu wollen.
 

Auf der Suche nach einer Kirchgemeinde

Andreas Schönfelder war auf der Suche nach einer Kirchgemeinde, die das Druckgerät des Pfarramtes zur Verfügung stellen und auch die Rechtsträgerschaft der Zeitschrift übernehmen würde. Damit könnte die Zeitschrift mit einer kirchlichen Drucknummer legal erscheinen und die organisatorische Frage des Zuganges zu der entsprechenden Vervielfältigungstechnik geklärt werden.

In Gesprächen mit der Umweltbibliothek der Zionskirche erreichte Andreas Schönfelder, dass im Falle eines Lausitzer Regionalblattes mit ihrer sachlichen Unterstützung zu rechnen war. Wachsmatrizen und Druckfarbe könnten besorgt werden, wenn ein Druckgerät in der Region gefunden würde. Nur, "das Druckgerät musste in kirchlichen Räumen stehen, dort wo es sowieso stand".
Andreas Schönfelder nahm deswegen im September 1987 Kontakt mit dem Pfarrer Alexander Garth auf. Der Pfarrer von Kittlitz war der einzig mögliche kirchliche Gesprächspartner der Umweltbibliothek im Kirchenkreis Löbau, zu dem Großhennersdorf gehörte.
Seit 1983 waren die Beziehungen zwischen dem Kreis von Mitarbeitern des Katharinenhofes und der Löbauer Kirche abgebrochen, nachdem der Superintendent Birkner es abgelehnt hatte, eine Kirche für eine Antikriegsausstellung des damals tätigen "Offenen Friedenskreises Großhennersdorf" zur Verfügung zu stellen. Danach verbreitete die Staatssicherheit bei der Kirche das Gerücht, dass Andreas Schönfelder provokativ in ihrem Auftrag arbeiten würde.
Alexander Garth, der bei seiner Einweihung als Pfarrer in Kittlitz vor einer Zusammenarbeit mit dem Großhennersdorfer Kreis gewarnt wurde, war seinerseits trotzdem bereit, die Zeitschrift von der Kirchgemeinde Kitllitz herausgeben zu lassen. Jedoch war dies nur mit der Genehmigung des dortigen Kirchenvorstandes möglich. Diese wurde verweigert, weil nach Auffassung der Mehrheit der Kirchenvorsteher der Druck einer solchen Zeitung den Verantwortungsbereich der Kirchgemeinde weit überschreiten würde.
 

LausitzbotIn - Ein Podium für Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsfragen

Im Sommer 1988 wurde das Projekt einer eigenen Zeitschrift für die Lausitz wieder aktuell. Auf Vermittlung von Bärbel Bohley erfuhr Andreas Schönfelder, dass der Pfarrer Alfred Hempel ein altes Druckgerät aus den dreißiger Jahren im Pfarramt von Großschönau stehen hatte, das weder von der Kirche noch vom Staat registriert war.

Thomas Pilz: "Wir sind sofort nach Großschönau gefahren. Pfarrer Hempel hat sofort ja gesagt. Er kannte uns seit 1983, als er seine Kirche dem „Offenen Friedenskreis Großhennersdorf“ für eine Antikriegsausstellung zur Verfügung gestellt hatte. Es kam für ihn nie in Frage, die Anbindung an die LausitzbotIn in seiner Kirchgemeinde zu übernehmen. Es wäre für ihn wahrscheinlich unmöglich gewesen, es in seinem Kirchenvorstand durchzusetzen. Es hatte schon vorher Beschwerden des Kirchenvorstandes gegen Hempel gegeben."
 

Anbindung an das „Grün-ökologische Netzwerk Arche“

Um langwierige Verhandlungen mit einem Kirchenvorstand darüber zu vermeiden, was in der LausitzbotIn stehen dürfte, entschieden sich Andreas Schönfelder und Thomas Pilz für die Möglichkeit, eine Rechtsträgerschaft im Rahmen des „Netzwerkes Arche“ zu nutzen.

Die Herstellung von Zeitschriften gehörte zu den zentralen Anliegen des Netzwerkes, das von einer Konzeption der „Öffentlichkeitsarbeit als wichtiges Mittel der politischen Arbeit“ geprägt war. „Arche“ führte den von der Umweltbibliothek Berlin initiierten Versuch am weitesten, „das Herstellen von Öffentlichkeit“ durch Zeitschriften zum „wichtigsten politischen Mittel der Umweltbewegung“ zu profilieren.
Diese Lösung einer eigenen kirchlichen Rechtsträgerschaft wurde für die LausitzbotIn mit der Hoffnung übernommen, dass sie auch in Zittau einen genügenden Schutz vor dem Staat bringen würde. Sie sollte dadurch gerechtfertigt werden, dass die Arche Regionalgruppe Lausitz keine Zustimmung eines Zittauer Kirchenvorstandes brauchte, um die Formel "Nur für innerkirchlichen Dienstgebrauch" für ihre Zeitschrift zu benutzen.
 

Die Bildung der Redaktion

Mit diesem Ergebnis konnte die eigentliche Arbeit an der Erstellung der Lausitzbotin im Herbst 1988 endlich anfangen. Ein eigenständiger Redaktionskreis entstand aus Thomas Pilz, Thomas Hönel und Eckhard Junghans.

Damit endete die Rolle der Umweltbibliothek Großhennersdorf als Initiator.

Andreas Schönfelder: "Die Umweltbibliothek hatte sich die Aufgabe gestellt, die Zeitschrift zu initiieren, die Materialien, die von Außen unbedingt kommen sollten, zu besorgen, die Verteilung zu organisieren und im Notfall Rückendeckung zu geben. Der Rest musste über eine Gruppe, die sich dafür engagierte, in der Region entstehen. Es könne nicht in der Region etwas geben, was da nicht selbst wuchs."

Im Dezember 1988 fing die Redaktion an, nachts bei Thomas Pilz in Mittelherwigsdorf auf dem alten manuellen Gerät aus Großschönau die 22 Seiten der LausitzbotIn in 200 Exemplaren zu drucken.
Im Januar 1989 wurden das Druckgerät und die gehefteten Exemplare der LausitzbotIn, die nicht gleich verteilt werden sollten, ins Pfarramt von Großschönau gebracht und im Amtszimmer von Pfarrer Hempel untergestellt.
 

Nach einem langen Weg …

Die LausitzbotIn erschien im Januar 1989 mit dem Hinweis "Nur für innerkirchlichen Gebrauch" auf der Titelseite und ohne kirchliche Drucknummer. Die Frage der Rechtsträgerschaft wurde mit dem Vermerk "herausgegeben in der Region Lausitz im Grünen Netzwerk Arche in den Evangelischen Kirchen der DDR" geklärt.

Bevor die Zeitschrift in Zittau verteilt wurde, nahm die Redaktion Kontakt mit dem Berliner Konsistorium auf um abzusichern, dass die kirchliche Anerkennung von Arche durch die Landeskirche auf die LausitzbotIn übertragbar wäre.

"Die kirchlichen Amtsträger vertraten einstimmig die Meinung, dass der Inhalt der LausitzbotIn nicht für eine Veröffentlichung geeignet ist, da dadurch das Verhältnis Staat-Kirche erheblich gestört werden könnte". (Quelle IM Hausmann???)

Am 22. Februar erschien die LausitzbotIn "im Gebiet der gesamten Oberlausitz". Sie wurde an den "Arbeitskreis Evangelium und Menschenrechte Kittlitz", an die Umweltgruppen von Görlitz und Hoyerswerda sowie an die Mitarbeiter der Diakonieanstalten Katharincnhof in Großhennersdorf und Martinshof in Rothenburg verteilt. Über den Verteiler der Umweltbibliothek Großhennersdorf wurde sie außerhalb der Region bis nach Berlin verbreitet.

Trotz der Ephoralrundschreiben wurde die LausitzbotIn auch innerhalb der Kirche durch einige Pfarrer, die sich gegen den Beschluss des Superintendenten wehrten, verteilt. Im Kirchenkreis Zittau beschlossen Alfred Hempel und Heiner Eggert, gegen die Bevormundung der Pfarrer durch den Superintendenten zu protestieren. Alfred Hempel verteilte die Lausitzbotin "zur Information" an alle Pfarrer des Kirchenkreises Zittau, damit sie sich vor dem nächsten Ephoralkonvent eine eigene Meinung über die Zeitschrift bilden.
Alexander Solschenizyn
 
IN DER WAHRHEIT LEBEN!

Unser Weg: durch nichts die Lüge bewußt unterstützen! Jeder sollte seine Schüchternheit ablegen und wählen: Ob er bewußt Diener der Lüge bleibt (aber natürlich nicht aus Veranlagung, sonder um die Familie zu ernähren und die Kinder im Geist der Lüge zu erziehen), oder für ihn die höchste Zeit gekommen ist, die Lüge abzuschütteln und ein ehrlicher Menschen zu werden, der die Achtung seiner Kinder und Zeitgenossen verdient.

Und seit diesem Tag wird er:
- künftig keine einzigen Satz mehr schreiben, unterschreiben oder drucken lassen, der seiner Meinung nach die Wahrheit entstellt,
- einen derartigen Satz weder in einem privaten Gespräch noch vor größerem Publikum äußern, und zwar weder von sich aus noch nach einem ihm in die Hand gedrückten Konzept, noch als Agitator, Lehrer noch in einer Bühnenrolle,
- keinen einzigen verlogenen Gedanken und keine einzige Entstellung der Wahrheit, die er als solche erkennt, weder mit den Mitteln der Malerei, der Bildhauerei, der Fotografie und der Musik darstellen noch kommentieren, noch mit Hilfe von Rundfunk und Fernsehen verbreiten
- weder mündlich noch schriftlich (sei es aus Liebesdienerei, aus Gründen der eigenen Sicherheit oder um des Erfolges seiner Arbeit willen).
- keine Äußerungen von führenden Funktionären zitieren, wenn er das Gesagte nicht völlig teilt oder das Zitat nicht genau am rechten Platz ist
- sich nicht zwingen lassen an einer Demonstration oder Kundgebung teilzunehmen und kein Transparent und kein Spruchband in die Hand zu nehmen und hochzuheben mit dessen Text er nicht vollständig einverstanden ist,
- für keine Vorschläge stimmen, für die er keine ehrliche Sympathie empfindet; weder offen noch geheim für jemanden seine Stimme abgeben, den er für unwürdig oder zweifelhaft hält,
- sich nicht zwingen lassen zu einer Versammlung zu gehen, auf der eine erzwungene und verzerrte Erörterung der auf der Tagesordnung stehenden fragen zu erwarten ist,
- jede Sitzung, Versammlung, Vorlesung, Theatervorführung oder Filmvorführung unverzüglich verlassen, sobald er dort Lüge, ideologischen Unsinn oder schamlose Propaganda vernimmt,
- keine Zeitung oder Zeitschrift mehr kaufen oder abonnieren, in der Information entstellt und höchst wichtige Fakten verheimlicht werden.
Aus Sputnik 8, 89

(In: Ausblick 6, 1989)