Zensur und Selbstzensur


Unter den vorgestellten Publikationsbedingungen (siehe/link vorherige Subebene) war das Problem der Selbstzensur für Autoren und Verlagsmitarbeiter allgegenwärtig: Wollte ein Autor in der DDR publizieren, war er gezwungen, im Rahmen der beschriebenen Genehmigungspraxis mitzuwirken – was nichts weniger bedeutete als Selbstzensur zu üben.

Ein Text war also – bevor er Druckform erlangen konnte – in einem Raum entstanden, in welchem die Gedanken bereits zensiert vorlagen, in welchem die Bedingungen seiner Publizierbarkeit also bereits mitgedacht werden mussten.

Als Konsequenz hieraus konnte nur folgen, dass diese Instanzen umgangen werden mussten. Ein Ausweichen in den Samisdat war alternativlos. Zwar war damit Selbstzensur nicht ausgeschlossen – aber sie kam eher aus taktischen Gründen zustande. Sich zur Samisdaterstellung unter den politischen Verhältnissen der DDR überhaupt zu entschließen – dies war bereits ein wertvoller emanzipatorischer Akt.
 

Beispiel:

Manfred Jäger legt in seinem Aufsatz „Das Wechselspiel von Selbstzensur und Literaturlenkung“ den Mechanismus von Zensur und Selbstzensur, wie er in der DDR im Rahmen der Druckgenehmigungspraxis funktionierte, bloß. Er erläutert, wie im Rahmen der Gutachtertätigkeit von den Autoren "Parteilichkeit" – durchaus nicht nur gegenüber Mitgliedern der SED – eingefordert wurde. Deutlich wird u.a. – insbesondere am Beispiel Christa Wolf und einigen ihrer Texte und Selbstzeugnissen zum Thema – wie stark eine ganze (Nachkriegs-)Generation verinnerlicht hatte "auf der richtigen Seite" zu stehen. Auf dieser Grundlage war vielfach ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit entstanden – durchaus auch unabhängig von SED-Mitgliedschaft. Ausbrüche aus diesem System erhielten so geradezu den Stellenwert von "Fahnenflucht".
 
 
aus: aktuell 2/87
 
"Das Wort Zensur gehörte selbst zu den Tabus, die von der Zensur in der DDR bewacht wurden."
Zitat Ernest Wichner und Herbert Wiesner, 1993 Suhrkamp
Wolf Biermann
 
Anne anne Elbe

Anne, weißu wasich möchte?
anne Elbe möchtich baden
inne Elbe möchtich schwimm
wasser schluckn auße Elbe
unnich gleich da an verreckn
liegn will ich anne Elbe
fische angeln un dann essn
unnie zukunft, Anne, willich
anne Elbe froh vergessn.

(In: Grenzfall 3/1986)

Epitaph

Hier starb ein Mensch, Genossen, und
Ein guter! Er hatte die Ehre
Er wurde erschossen, wir warn so gut

Mit einem guten Gewehre
An einer gut gemauerten Wand
Der Lauf war gut gezogen
Die Kugeln waren aus gutem Blei
Der Schuß war gut erwogen

Wenn euch die Kinder eines Tags
Nach seinem Schicksal fragen
Genossen, seid nicht zimperlich
Dann sollt ihr denen sagen:

Er war ein guter Kommunist
Und wurde gut erschossen
Von einem guten Genossen

(In: Umweltblätter, Juli 1989)