> Der Bestand


Unter dem Begriff "politischer Samisdat der DDR" werden (in Abgrenzung zum Tamisdat, dem künstlerischen Samisdat der DDR, religiösen Informationsblättern und singulären Flugblättern) Reihen und mehrseitige Informationsschriften zusammengefasst, die illegal, an der staatlichen Zensur vorbei, im Selbstverlag und zumeist mit dem Anliegen periodischen Erscheinens in der DDR im Zeitraum von Mauerbau bis Mauerfall entstanden sind. Herausgegeben wurden sie verstärkt Ende der 70er und in den 80er Jahren von den oft unter dem Dach der Kirche agierenden Friedens-, Menschenrechts- und Umweltgruppen. Dabei wurde das Ziel verfolgt, über den Autorenkreis hinaus ein größeres Publikum zu erreichen, Informationen auszutauschen, die Gruppen zu vernetzen und damit eine Öffentlichkeit für Themen zu schaffen, die offiziell nicht verbreitet werden durften oder unterdrückt wurden.

In Übereinkunft mit den unabhängigen Archiven und nach Beratung durch Historiker finden in den Bestand "Politischer Samisdat der DDR" nur solche Reihen Eingang, die im Zeitraum der "geschlossenen Gesellschaft" (Mauerbau bis Mauerfall) hergestellt wurden. Nur in diesem Zeitrahmen werden die oben genannten Kriterien der Definition des politischen Samisdat erfüllt.

Bücher, Flugschriften, Aushänge, Gedächtnisprotokolle, offene Briefe und Aufrufe gehören auch zum politischen Samisdat der DDR. Sie sind nicht Bestandteil dieser Edition, weil eine entsprechende Definitionserweiterung den technischen und finanziellen Rahmen des Projektes gesprengt hätte.

Ebenfalls nicht aufgenommen in den Bestand wurden Schriften, die im Rahmen institutionalisierter kirchlicher Trägerschaft, wie zum Beispiel der Theologischen Studienabteilung des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR oder des Kirchlichen Forschungsheimes Wittenberg herausgegeben wurden. Obwohl sie häufig in der Art der Verbreitung und von ihrer Themenstellung wie Samisdat behandelt wurden, erfüllen sie die Kriterien o.g. Definition vor allem bei der Herstellung und Legitimation nicht.

Diese Veröffentlichungen, Flugschriften u.ä. sowie kirchliche Informationsschriften sollten Bestandteil eines weiteren Projektes zur Sicherung und Digitalisierung oppositioneller Äußerungen in der DDR werden.

> Bedeutung


Der politische Samisdat stellt eine herausragende zeitgeschichtliche Quellenüberlieferung der jüngsten Vergangenheit dar. Bei ihm handelt es sich um die wichtigste schriftliche Grundlage der zweiten Öffentlichkeit in der DDR. Er ist ein einzigartiges autonomes und zusammenhängendes Schriftzeugnis aus der Zeit der SED-Diktatur. Die staatlich überlieferten Dokumente, wie z. B. die Akten des MfS, der Polizeiorgane oder der SED geben nur ein ideologisch verzerrtes und zum Teil verfälschtes Bild von Opposition und Bürgerbewegung wider, da sie aus der Perspektive der Herrschenden mit dem Ziel der Überwachung, Beeinflussung und Verfolgung entstanden. Für jede künftige Beschäftigung mit der inneren Entwicklung der DDR ist die Gegenüberlieferung von Selbstzeugnissen der Bürgerbewegung unverzichtbar, deren Berücksichtigung ein dringendes Desiderat ist.

Dr. Helmut Mottel
Thomas Pilz
Arche Nova (26. April 1989)